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Warum Coaching dringend Innovation braucht

Als Coach lernt man viele Coaches kennen. Das sind die, die man üblicherweise an den Networking-Events zu den Themen New Work und HR antrifft. Und ja, mich trifft man dort auch an. Ich gewinne also durchaus einen guten Überblick, was in diesem Markt alles so rumläuft. Was mich jedesmal erschreckt ist, wie konservativ sich meine Berufsgruppe präsentiert. Im Denken durchaus fortschrittlich, aber im Coaching-Dasein spießig und konventionell. Ich habe für mich drei Gründe identifiziert, warum das sein könnte.

3 Gründe für den Konservatismus

1. Der Rechtfertigungsmodus

Jeder kann sich Coach nennen, da es kein geschützter Begriff ist. Folglich nennt sich alles und nichts Coach, vom Guru bis zum Scharlatan. Das führt zum einen dazu, dass Coaches nicht die beste Reputation genießen. Zum anderen entfacht das unter den Coaches mit einer fundierten Ausbildung und Zertifizierung eine große Diskussion, wer dazu gehört – zu den „echten“ Coaches. Beobachtet man ein Kennenlernen zwischen zwei Coaches, dann läuft das Gespräch in der Regel so ab:

„Hi, ich bin Coach.“
Ich auch. Und wo hast Du deine Ausbildung gemacht?
„An der Hochschule für Coaching Exzellenz. Ich folge der Theorie von Mr. Right.“
Ja, kenne ich natürlich, ich folge eher der Theorie von Ms. Trueman, vom Ansatz her ja sehr verwandt.
„Klar, auch gut. Was aber gar nicht geht, ist Coaching nach dem Vorbild von Mrs. Wrong.“
Nein, auf keinen Fall!

You get the picture. Die Coaches befinden sich im ständigen und auch gegenseitigen Rechtfertigungsmodus. Deswegen haben sie die Tendenz, möglichst alles nach Lehrbuch, möglichst konservativ, möglichst seriös „richtig“ zu machen.

2. In der Old Economy liegt das Geld

Coaching hat seine Ursprünge in den hohen Management Etagen der Konzernwelt. Man spricht zwar unterdessen von einem Coaching-Boom, noch immer ist es aber so, dass Coaching hauptsächlich vom mittleren und gehobenen Management von etablierten Unternehmen nachgefragt wird. Warum sollte man sich also avantgardistisch geben, wenn die Hauptzielgruppe das konservative Management der Old Economy ist?

3. Vorsicht, ich arbeite mit Menschen

Coaches betonen zwar, keine Psychotherapeuten zu sein, dennoch verhalten sie sich so. Es scheint als gäbe es einen unausgesprochenen Berufskodex, dass die Arbeit mit Menschen äußerste Vorsicht erfordert. Die Methoden und Interventionen sollten sehr ausgewählt, geprüft und fundiert sein, denn man arbeitet ja mit der „fragilen“ Psyche der Menschen. Dabei vergessen sie komplett, dass sie mit gesunden Menschen arbeiten. Das sind keine unmündigen Patienten, die nichts ertragen.

Das Ergebnis dieses Konservatismus ist eine fehlende Dynamik im Markt und aus meiner Sicht zu wenig Innovation in der Art, wie gecoacht wird. Jeder kopiert jeden. Symbolisch hierfür: Alle Webseiten ähneln sich sowohl bezüglich Aussehen, wie auch bezüglich Inhalt – optisch sehr klassisch und clean, mit Bildern von Strand, Bergen und gestapelten Steinen und mit dem Versprechen, dass man den Kunden spürt, versteht und sein persönlicher Zuflüsterer ist.

Und wo liegt das Problem?

Nun kann man sich Fragen, inwiefern das überhaupt ein Problem ist. Aus Sicht der Coaches ist das große Problem, dass viel zu wenig Diversifikation herrscht. Coaches sind untereinander austauschbar. Bedenklich finde ich es insbesonders, wenn ich die junge Generation der Coaches sehe, die es immer wieder auf der gleichen Schiene versuchen wie die alteingesessenen etablierten Coaches. Wie wollen sie sich ohne jegliche Erfahrung, aber mit dem gleichen Programm gegen die etablierten Coaches durchsetzen? Sicherlich nicht mit einem niedrigeren Preis, denn dieser interessiert die angesprochene Zielgruppe nur wenig.

Diese fehlende Dynamik wirkt sich natürlich auch nachfrageseitig aus. Der Coaching-Boom wird gebremst, denn Coaching genießt weiterhin eher ein verstaubtes Image und wird häufig mit der Problemorientierung der Psychotherapie gleichgestellt . Die Coaches versäumen es zu kommunizieren, dass persönliche Weiterentwicklung Spaß machen kann und Spaß machen muss. Weder durch ein frisches Auftreten noch durch innovative Formate erzeugen sie Lust auf Coaching. Dadurch vernachlässigen sie viele unerschlossene Marktsegmente, z.B. die der jungen digitalen Branche, der Gründerszene und insbesondere der Privatpersonen. Durch das gleichbleibende Coaching wird lediglich die bestehende Zielgruppe bedient.

Aufruf zu mehr Innovation

Deswegen mein Aufruf an alle Coaches und insbesondere an die jüngeren Coaches: Experimentiert, probiert Neues aus! Wagt es, euch radikaler anders zu positionieren. Lass uns eine Sogwirkung erzeugen, wie geil Coaching eigentlich ist. Lass uns den Coaching-Boom zum Coaching-Booooooooom! machen.

Ich bin gespannt!

Dieser Beitrag hat 15 Kommentare

  1. Ralph

    … und mit welcher Theorie lässt sich das belegen…?

    1. Olivier Schneller

      Sehr schön! 🙂 Vielleicht gibt es bald eine…..

      1. Jess N.

        Das ist die Schnellersche Beschleunigungstheorie, ist doch klar 🙂

  2. Anonym

    Endlich gibt’s Worte für meine Gedanken.

  3. Marcus Riesterer

    Hurra dann bin ich eine Ausnahme und ich besuche bewusst keine dieser Veranstaltungen;-)

    Guter Artikel, bringt es auf den Punkt

  4. Markus Väth

    Schöner Artikel. Ich bemerke das gerade extrem in der klassischen Karriereberatung. Da ist einer wie der andere. Daher habe ich für mich 2016 eine – wie ich finde – innovative Positionierung gefunden. Der Preis war zunächst: Einbruch des Coaching-Geschäfts, Abstrafen durch Google (vorher bei „Coach Nürnberg“ Seite 1, Platz 1 (max. 2), no shit); dann Seite 5.
    Nun geht es wieder aufwärts, aber gegen die Coach-Schwemme und den meiner Meinung nach breiten Qualitätsverfall ist schwer anzukommen. Mittlerweile ist Coaching für mich ein Teilgeschäft, neben Vorträgen, Workshops und meinen Büchern.

    1. Olivier Schneller

      Cool. Das nenne ich Mal ein radikal mutiger Schritt. Für Leute wie ich, die gefühlt auf Seite 23 zu finden sind, ist das viel einfacher. Ich schick Google Mal den Blogpost, damit sie das in ihrem Algorithmus berücksichtigen. 🙂

  5. Claudia

    Danke! Sehr schöner Impuls! Coachs sind patriarchal. Sie sind die einzige Berufsgruppe, die ich kenne, die es noch nicht geschafft hat, eine weibliche Berufsbezeichnung zu etablieren.

    1. Jaqueline

      Dann mache es doch selber. Ich kenne genug kreative Kolleginnen, die sich einen eigenen Begriff gebildet haben. Und im übrigen wissen wir ja, dass es an der Übernahme aus dem Englischen rührt…

  6. Jean-Luc Haaser

    Lieber Olivier Schneller,
    Haben Sie einen konkreten Vorschlag, wie Ihre Kollegen es besser machen könnten?

    1. Olivier Schneller

      Lieber Jean-Luc,
      Ja, habe ich.
      Aufgrund des großen Interesses an diesem Blogpost plane ich meinen nächsten Blogpost als Folgepost zu diesem, wo es um konkrete Lösungsansätze geht, wie man es anders machen könnte.
      Also, stay tuned.

  7. Ulrike Jung

    Lieber Olivier Schneller,
    sehr schöner und treffender Artikel. Als innovative Positionierung biete ich die Weiterbildung zum Vitalmanager an.
    Freue mich schon auf Ihren nächsten Post.

  8. Anja Hemzal

    Wow – sehr guter Artikel. Ich positioniere mich gerade als Frauen- und Jugendcoach und merke, wie unbekannt in diesen Bereichen Coaching ist. Da ist viel „Pionierarbeit“ gerade zu leisten – macht jedoch riesig Spaß. Freu mich auf weitere Artikel!

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